Änderung des Bundeswahlgesetzes – Wahlrechtsreform

Änderung des Bundeswahlgesetzes – Wahlrechtsreform

Rede zum TOP 2, 83. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer seiner ersten Entscheidungen aus dem Jahr 1951 bezeichnete das Bundesverfassungsgericht das Wahlrecht als das „vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“. Diese Formulierung hat das Gericht bis in die jüngste Rechtsprechung hinein beibehalten.

Wenn wir heute in erster Lesung über eine Wahlrechtsreform debattieren, geht es daher nicht allein um die Frage der Größe des Deutschen Bundestages oder um mathematische Fragen der Sitzzahlberechnung; vielmehr geht es darum, die Wahlentscheidungen der Wählerinnen und Wähler in unserem Land so zu respektieren, dass sie in einem reformierten Wahlrecht einen adäquaten Ausdruck finden.

In der im Frühjahr des vergangenen Jahres eingesetzten Wahlrechtskommission haben wir uns intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich die Größe des Deutschen Bundestages in Richtung seiner gesetzlichen Regelgröße von 598 Abgeordneten zurückführen lässt. Dabei hat sich die Ampel schon in einem sehr frühen Stadium auf ein sogenanntes Kappungsmodell festgelegt. Dieses Modell sieht vor, dass die Wählerinnen und Wähler in den 299 Wahlkreisen zwar weiterhin eine Erststimme abgeben können, Ergebnis der Stimmabgabe für einen Direktkandidaten kann aber sein, dass dieser, obwohl er die meisten Stimmen auf sich vereinigt, trotzdem kein Bundestagsmandat erhält. Warum? Weil sich die Mandatsverteilung allein nach dem Ergebnis der Zweitstimmen richten soll.

(Konstantin Kuhle (FDP): Wie heute auch schon!)

Wenn in einem Bundesland die Zahl der Direktmandate, die einer Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, die der Sitze im Bundestag übersteigt, werden diese gekappt. Das heißt, in den Bundestag ziehen dann nur die Kandidaten ein, die im Verhältnis zu anderen Direktkandidaten die besten Erststimmenergebnisse errungen haben. Direktmandate werden dann also nicht mehr gewonnen, sondern einfach nur noch zugeteilt. Wahlkreise, in denen der Wahlkreissieger nicht über die erforderliche Hauptstimmendeckung verfügt, würden daher verwaisen, wären also nicht mehr durch einen Wahlkreisabgeordneten im Bundestag vertreten. Das droht nicht nur den Wählerinnen und Wählern in Baden-Württemberg und Bayern, wo CDU und CSU traditionell die Wahlkreise gewinnen, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, wo viele Wahlkreise an die SPD gehen. Es kann aber auch in vielen anderen Bundesländern für die unterschiedlichen Parteien so geschehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer der Sachverständigen der Ampel in der Wahlrechtskommission, der Politikwissenschaftler Joachim Behnke, der dort das Kappungsmodell vehement verteidigt hat, schrieb im Jahr 2012 in der „Zeitschrift für Parlamentsfragen“, es widerspricht – ich zitiere – „fundamentalen Fairnessempfindungen, wenn Wahlkreissieger … das Direktmandat, nicht erhalten“.

(Konstantin Kuhle (FDP): Sind ja dann keine Sieger mehr! – Philipp Amthor (CDU/CSU): Hört! Hört!)

Nun hat jeder das Recht, seine Ansichten zu ändern, aber dass sich „fundamentale Fairnessempfindungen“ innerhalb weniger Jahre in ihr Gegenteil verkehren, das sollte doch misstrauisch stimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))

In der Sache halte ich die Aussage jedoch für richtig. Tatsächlich ist es aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger nicht einsehbar, weshalb ein siegreicher Direktkandidat oder eine siegreiche Kandidatin nicht in den Bundestag einziehen soll, nur weil ein Wahlkreissieger in einem anderen Wahlkreis prozentual mehr Stimmen erhalten hat. Man kann sich auch fragen, was das bei der nächsten Wahl mit der Wahlbeteiligung macht.

Dass aus zahlreichen Wahlkreisen nach dem Ampelmodell künftig kein Direktmandat mehr in den Bundestag gewählt werden würde, beträfe vor allem diejenigen Gegenden, in denen die Wahlkreise stark umkämpft sind. Dass ein Direktkandidat weniger Stimmen holt als andere Kandidaten, liegt aber gar nicht an einer vermeintlichen Schwäche der jeweiligen Kandidatinnen und Kandidaten, sondern am großen Konkurrenzdruck. Dieser besteht aber vor allem in den Großstädten sowie in den östlichen Bundesländern.

Sehr zu Recht hat der Kollege von Malottki von der SPD aus dem Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte I – Vorpommern‑Greifswald II auf „Zeit Online“ darauf hingewiesen, dass gerade die hart umkämpften Wahlkreise wichtig sind für die Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht charakterisiert die Wahl ja als einen „Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes“. Wenn nun aber Wählerinnen und Wähler in umkämpften Wahlkreisen keinen Abgeordneten mehr in den Bundestag entsenden können, dann bedeutet das keine Integration mehr; das ist dann Desintegration.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))

Die Legitimität des parlamentarischen Systems in Deutschland beruht wesentlich darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Direktkandidaten für die unmittelbare Vertretung ihrer örtlichen Interessen wählen können.

(Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Sie, die Ampel, wollen zwar am personalisierten Verhältniswahlrecht festhalten, verletzen aber zugleich seine grundlegenden Prinzipien fundamental.

Wir als CDU/CSU plädieren dagegen für eine Fortentwicklung des bestehenden personalisierten Verhältniswahlrechts. Das heißt konkret: Anzahl der Wahlkreise auf 270 reduzieren,

(Beatrix von Storch (AfD): Also weniger Direktmandate! Das ist dann mehr direkte Demokratie, oder was?)

die Größe des Bundestages auf 590 Abgeordnete festlegen, unausgeglichene Überhangmandate im verfassungsrechtlich möglichen Rahmen zulassen und die Grundmandatsklausel auf fünf Wahlkreismandate erhöhen. So lässt sich das personalisierte Verhältniswahlrecht ohne große Brüche fortschreiben. Die Wirkung der Erststimme muss erhalten bleiben; denn Erststimme ist Bürgerstimme.

Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))