Änderung des Bundeswahlgesetzes
Rede zum TOP 2 , 92. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mittwoch dieser Woche fanden in den Niederlanden Provinzialwahlen statt. Aus dem Stand hat dabei die Bauern-Bürger-Bewegung erdrutschartig in den nördlichen Provinzen bei den Wahlen den Spitzenplatz erobert und lehrt jetzt die Regierungskoalition in Den Haag das Fürchten. Diese Entwicklung beruht darauf, dass sich die Menschen gerade im Norden von der Politik in Den Haag im Stich gelassen fühlen, weil es kaum nationale Politiker in den Niederlanden gibt, die eine regionale Verwurzelung haben. Auch ein Grund: Die Niederlande kennen keine Wahlkreise. Sie wählen nach dem reinen Verhältniswahlrecht.
Bei uns bildet sich bislang unsere starke regionale Struktur auch im Bundestag ab. Dank des personalisierten Verhältniswahlrechts und seiner Regel „Wer einen Wahlkreis gewinnt, der kommt auch in den Bundestag“
(Alexander Graf Lambsdorff (FDP): So bleibt das auch!)
ist die regionale Vertretung von Flensburg bis Garmisch sichergestellt. Damit wird es zukünftig vorbei sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das von der Ampel vorgelegte und durch Änderungsanträge noch einmal drastisch verschärfte Wahlgesetz löst die eigenständige Bedeutung von Bundestagswahlkreisen von Beginn an auf. Aus dem Garanten für eine regionale Repräsentation im Parlament machen Sie nun eine bloße Rechengröße, bei der es der Zufall bestimmt, ob ein Wahlkreis noch im Bundestag vertreten ist oder nicht. Sie kleiden das dabei in einen Mantel, der nur noch den Eindruck einer personalisierten Verhältniswahl macht. Camoufliert legen Sie aber die Axt an unser bewährtes Wahlsystem und schaffen ein Wahlrecht des betrogenen Wählers.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle (fraktionslos))
Und weil Sie sich in der Idee des Wegnehmens von gewonnenen Wahlkreisen nach der Wahl so sehr verheddert haben, aber gleichzeitig merken, wie inkonsistent Ihre Lösung ist und welche Probleme Sie mit Ihrem Gesetz gerade nicht lösen, haben Sie alles mit einem Änderungsantrag in dieser Woche nur noch schlimmer gemacht. Das wird kein gutes Ende nehmen, wenn Ihr Wahlgesetz in Karlsruhe landet; das kann ich Ihnen heute schon sagen. Und es ist klar: Wir werden es nach Karlsruhe bringen; wir werden klagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Jürgen Pohl (AfD) – Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Ihr gutes Recht! – Dr. Jens Zimmermann (SPD) Da kann man auch verlieren!)
Mit Ihrem Ansinnen, die Grundmandatsklausel ersatzlos zu streichen, haben Sie sich jedenfalls endgültig die Maske des Heilsbringers des deutschen Parlamentarismus selbst vom Gesicht gerissen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD und der LINKEN und des Abg. Robert Farle (fraktionslos))
Ja, unsere Sachverständigen haben Sie in der Anhörung auf die verfassungswidrige Inkonsistenz Ihrer Grundmandatsklausel hingewiesen. Aber sie haben doch mitnichten vorgeschlagen, die Klausel im Wahlgesetz ersatzlos zu streichen, so wie Sie es jetzt mit Ihrem Änderungsantrag machen.
Lesen Sie dazu nur die „taz“ von heute! Dass ich die mal zitieren würde, hätte ich auch nie gedacht.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Jens Zimmermann (SPD): Das ist Verzweiflung bei Ihnen!)
Da werden die Sachverständigen befragt und sagen eindeutig dasselbe aus, was sie auch in der Anhörung gesagt haben. Ihre Verbreitung der Mär, es sei unser Vorschlag gewesen, ist ein untauglicher Versuch, uns das jetzt in die Schuhe zu schieben. Sie müssen schon selbst verantworten, dass Sie ein verfassungsrechtliches Problem dadurch lösen, dass Sie selbst ein noch größeres schaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle (fraktionslos))
Ich verweise dazu auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im 146. Band, Seite 327 ff. Da heißt es:
Eine andere verfassungsrechtliche Beurteilung
– es geht da um die Zulässigkeit der 5-Prozent-Klausel –
könnte möglicherweise geboten sein, wenn der sperrklauselbedingte Ausfall an Stimmen einen Umfang erreichte, der die Integrationsfunktion der Wahl … beeinträchtigen würde. Der Gesetzgeber muss die Funktion der Wahl als eines Vorgangs der Integration der politischen Kräfte des gesamten Volkes sicherstellen und zu verhindern suchen, dass gewichtige Anliegen im Volk von der Volksvertretung ausgeschlossen bleiben …
So weit Karlsruhe. – Und das ist nicht mehr Fall, wenn eine Partei, die eine große Zahl von Wahlkreisen gewinnt, nicht mehr im Bundestag vertreten ist, mit null, mit niemandem mehr; dann ist die Integrationsfunktion beeinträchtigt, und das ist ganz klar verfassungswidrig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Robert Farle (fraktionslos))
Wir sind in der Fastenzeit. Das ist die Zeit der Umkehr, des Neudenkens. Noch haben Sie dazu Zeit. Und vor allem: Lassen Sie sich alle nichts vorgaukeln! Nicht zuzustimmen, ist hier allemal besser, als Schlechtem zuzustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD und des Abg. Robert Farle (fraktionslos) – Christian Dürr (FDP): Seit zehn Jahren sagen Sie das!)