Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz
Rede zu TOP 5, 176. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele hundert Stunden an richterlicher Arbeitszeit der Digitalisierungsstau in der Justiz jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr kostet, lässt sich nur grob abschätzen. Dass diese Kosten aber entstehen, ist wohl sicher.
In der ersten Beratung dieses Gesetzentwurfs hatte ich bereits auf Estland verwiesen, wo mit der Digitalisierung der Justiz die durchschnittliche Verfahrensdauer in Zivilprozessen innerhalb von fünf Jahren von 156 auf unter 100 Tage gefallen ist. Angesichts des mit Sicherheit in naher Zukunft eintretenden Fachkräftemangels in der Justiz ist es ein Gebot der Stunde, die vorhandenen Ressourcen mithilfe der Digitalisierung so effizient zu nutzen, dass die Justiz auch bei einem künftigen Verlust von Hunderten von Stellen gut aufgestellt bleibt.
Vielleicht fragt sich manch einer, ob die Justiz wirklich einen solchen Effizienzschub braucht und ob die über Hunderte von Jahren bewährte Papierakte nicht voreilig vom Gesetzgeber in den Papierkorb geworfen wird. Dem lässt sich nur entgegnen: Dieser Schritt ist keineswegs voreilig. Er ist überfällig; er ist nötig. Aus einer gemeinsamen Studie der Boston Consulting Group, der Bucerius Law School und dem Legal Tech Verband Deutschland aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass im Zeitraum von 1995 bis 2020 die erstinstanzlichen Verfahrenszahlen in Zivilsachen um 40 Prozent zurückgegangen sind, gleichzeitig aber die Verfahrensdauer um 40 Prozent gestiegen ist. Die Studie ist nur 30 Seiten lang, keine 100. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.
Eine der Kernaussagen der Studie in Bezug auf Deutschland hat mich sehr frappiert. Bei der Bewertung des Justizsystems liegt Deutschland auf einer
Skala von 1 bis 100 zwar in wesentlichen Aspekten weltweit vorn, etwa was Korruptionsfreiheit oder effektiven Vollzug von Urteilen betrifft. Zugleich belegt Deutschland aber auch in einigen zentralen Punkten die hinteren Plätze, so etwa bei der Frage des Justizzugangs, also der Accessibility und Affordability, aber auch bei der Dauer und Verzögerung von Verfahren. Das muss uns ein Warnsignal sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sonja Eichwede (SPD) und Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Deutschland ist eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt mit einem immensen Leistungsvermögen. Wir haben die Mittel, die deutsche Justiz fit für die nächsten 100 Jahre zu machen. Aber wie so häufig geht es auch hier darum, die vorhandenen Ressourcen effizient einzusetzen.
Ich will nicht verhehlen, dass wir als Unionsfraktion uns an dem einen oder anderen Punkt etwas andere Regelungen gewünscht hätten. So dürfen wir bei allen positiven Aspekten, die die Digitalisierung in der Justiz mit sich bringt, nicht vergessen, dass es Situationen geben kann, in denen die Digitalisierung nicht automatisch einen Gewinn an Effizienz oder auch Gerechtigkeit mit sich bringt. Der Deutsche Richterbund etwa kritisiert die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit der elektronischen Strafantragstellung, weil zu besorgen sei, dass Antragsteller sich der Reichweite und Bedeutung ihres Strafantrags nicht hinreichend bewusst sind und damit in Hunderten von Fällen leichtfertig Ermittlungen anstrengen könnten.
In der Sachverständigenanhörung zum vorliegenden Gesetz ist auch das Instrument der Videokonferenz in der strafprozessualen Revisionshauptverhandlung kritisch gesehen worden, weil befürchtet wird, dass
dadurch der strafprozessuale Grundsatz der Unmittelbarkeit in Gefahr geraten könnte.
(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Hundertprozent richtig!)
Dies mag nicht Hunderte von Verfahren betreffen, hat aber im Einzelfall eine durchaus erhebliche Bedeutung. Auch der Deutsche Anwaltverein hat diesen Punkt kritisiert. Gleichwohl geht der Gesetzentwurf insgesamt in die richtige Richtung und wird die Digitalisierung der Justiz in Deutschland und damit deren Effizienz erheblich fördern.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich am Ende meiner Rede fragen, warum ich in jedem Absatz das Wort „hundert“ eingebaut habe, dann hat das einen einfachen Grund: Dies war heute meine hundertste Rede im Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich freue mich, bei dieser Gelegenheit auch die Zustimmung der Unionsfraktion zu diesem Gesetzentwurf in Aussicht stellen zu können.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ja mal ein schönes Geburtstagsgeschenk!)