Änderung des Grundgesetzes – Einfügung sexuelle Identität

Änderung des Grundgesetzes – Einfügung sexuelle Identität

Rede zu TOP 16, 21. Sitzung des 21. Deutschen Bundestages

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Mensch in unserem Land hat das Recht, frei, sicher und ohne Diskriminierung zu leben. Niemand darf ausgegrenzt oder benachteiligt werden.

(Stephan Brandner (AfD): Außer AfD, oder?)

Das ist Kern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und bereits heute geltendes Verfassungsrecht.

Was also zur Debatte steht, ist nicht die Frage, ob Menschen vor Diskriminierung geschützt werden müssen, sondern ob eine Verfassungsänderung nötig ist, um den Katalog der Benachteiligungsverbote des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes zu ergänzen.

(Beatrix von Storch (AfD): Ihre CDU-Kollegen meinen das!)

Natürlich kann man die Diskussion auch zum Anlass für ein verfassungspolitisches Blame Game nehmen, welches Bundesland in welcher politischen Färbung auch immer sich für oder gegen eine Ergänzung ausspricht.

(Beatrix von Storch (AfD): Das sind Fakten!)

Das wäre allerdings allzu billig und würde der Sache nicht gerecht; denn wir sollten uns der Frage an der Sache orientiert annähern.

Da muss man zugestehen: Mit Blick auf die Sichtbarkeit eines Benachteiligungsverbots im Hinblick auf die sexuelle Orientierung hat der Gesetzentwurf der Grünen einen Punkt. Ein solches Merkmal steht expressis verbis nicht im Grundgesetz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jenseits einer sprachlichen Lücke ist aber die Frage entscheidender: Gibt es eine materiell-verfassungsrechtliche Lücke? Und die Frage ist klar mit Nein zu beantworten. Materiell-verfassungsrechtlich ist auch die sexuelle Orientierung durch die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als quasi Diskriminierungsverbot oder Analogmerkmal – so wird es in der Rechtswissenschaft bezeichnet – anerkannt durch Auslegung der Verfassung.

Es bleibt also festzuhalten: Materiell-verfassungsrechtlich ist der Schutz der sexuellen Orientierung bereits jetzt vollständig abgesichert. Er leitet sich formal aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes ab, ist aber als echtes Diskriminierungsverbot wie aus Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes anzusehen. Das ist gefestigte Rechtsprechung, und daran ist auch nicht zu rütteln.

Wenn es aber materiell keine verfassungsrechtliche Lücke gibt, ist aus unserer Sicht Vorsicht geboten, wenn es um die Ergänzung des Grundgesetzes geht. Frei nach dem Motto von Montesquieu – der Kollege Plum hat es schon genannt -: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.

Allein die mangelnde Sichtbarkeit im Verfassungstext reicht jedenfalls nicht aus, um eine Änderung des Grundgesetzes zu begründen. Da ist es unsere Aufgabe als Politik, für die Sichtbarkeit zu sorgen.

Zu Recht verweist der vorliegende Gesetzentwurf auf besorgniserregende Zahlen zu Diskriminierung und Hasskriminalität. Diese Entwicklungen sind in der Tat ernst zu nehmen. Das ist unstrittig. Aber kein einziger dieser Fälle ließe sich durch eine Änderung des Grundgesetzes verhindern. Aber verfolgen und bekämpfen lassen sich diese Fälle bereits jetzt auf der Grundlage unserer Verfassungs- und Rechtsordnung. Straftaten werden durch konsequente Strafverfolgung, durch gesellschaftliche Bildung und durch Aufklärung bekämpft. Unser Grundgesetz lebt davon, dass es mit relativ wenig Worten sehr viel sagt und damit offen für zeitgemäße Lösungen ist. Das zeigt die gefestigte Verfassungsrechtsprechung zur Frage der sexuellen Orientierung.

Präsidentin Julia Klöckner:

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage aus der Grünen-Fraktion von Frau Schauws zu?

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Ja, vor dem letzten Satz meiner Rede.

Präsidentin Julia Klöckner:

Ich habe es geahnt, deshalb habe ich mir ja Mühe gegeben, zu fragen.

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollege Heveling, wir beide sind jetzt schon eine ganze Weile in diesem Bundestag und haben auch schon über die Grundgesetzänderung des Artikel 3 Absatz 3 miteinander diskutiert. Zwischen 2017 und 2021 – also vor zwei Wahlperioden; das will ich nur mal in Erinnerung rufen – war die Fraktion der CDU/CSU – Herr Luczak nickt – in vielen Debatten mit vielen demokratischen Fraktionen an der Stelle, diese Grundgesetzänderung, die Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3 um das Merkmal der sexuellen Identität vorzunehmen, deutlich weiter. Und es gab auch in der AG Recht der  CDU/CSU-Fraktion dazu Beschlusslagen.

Sagen wir mal so: Sie tun ein bisschen so, als hätten Sie diese Diskussion noch nicht geführt,

(Fabian Jacobi (AfD): Man darf sich eines Besseren besinnen! Das ist erlaubt!)

vielleicht nicht in der aktuellen Zusammensetzung der Fraktion, aber sei es drum. Diese Debatten, die wir miteinander darüber geführt haben, hatten zur Grundlage, dass wir gesagt haben, dass es, wie die Kollegen Slawik ausgeführt hat, nach dem Ende des Nationalsozialismus keine sichtbare Ergänzung bezüglich der sexuellen Identität im Grundgesetz gab.

(Fabian Jacobi (AfD): Können wir mal den Nationalsozialismus rauslassen?)

Jetzt sagen Sie: Es ändert nichts, wenn wir die Änderung vornehmen. Deswegen müssen wir sorgfältig vorgehen. – Deswegen frage ich jetzt zwei Dinge:

Erstens. Wieso waren Sie damals eigentlich schon an dieser Stelle, zu sagen, Sie könnten sich eine Grundgesetzänderung vorstellen?

Zweitens. Wieso sind die von CDU-Ministerpräsidenten geführten Länder, die im Bundesrat diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der Meinung, dass dieses Gesetz notwendig ist?

Sie müssen jetzt noch mal erläutern, warum das aus Ihrer Parteilogik her jetzt nicht der Fall sein soll,

(Beatrix von Storch (AfD): Gute Frage!)

aber die Kollegen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen der Meinung sind

(Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wegner in Berlin!)

– Herrn Wegner in Berlin will ich auch nicht vergessen -, dass diese Grundgesetzänderung notwendig ist,

(Stephan Brandner (AfD): Wie lange ist eigentlich die Redezeit für diese Frage?)

die wir alle zum Schutz von queeren Menschen für notwendig erachten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Gebel (Die Linke))

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Liebe Frau Kollegin Schauws, ich weiß jetzt nicht, ob Sie bei der Frage das „Sie“ klein oder groß gesagt haben. Wenn Sie es groß gesagt haben, also auf mich bezogen: Ich war schon in der Vergangenheit der Auffassung, dass wir keine Ergänzung des Grundgesetzes aus den von mir vorgetragenen materiell-verfassungsrechtlichen Gründen brauchen. Dass wir natürlich in der Union, auch in der Bundestagsfraktion, schon eine längere Diskussion haben und auch unsere Vertreter aus den Bundesländern unterschiedliche Auffassungen haben, zeigt letztlich nur, dass wir auch eine Partei der Vielfalt sind, die verschiedene Positionen diskutiert.

Wir haben uns – bisher jedenfalls – in der Bundestagsfraktion aus den wohlerwogenen Gründen dafür entschieden, eine Ergänzung eben nicht vorzusehen, weil wir sie materiell-verfassungsrechtlich nicht für notwendig ansehen. Ich sagte es und wiederhole es: Das Grundgesetz lebt davon, dass es mit relativ wenig Worten sehr viel sagt und dadurch offen für zeitgemäße Lösungen ist – ich bin mit der Beantwortung fertig -,

(Abg. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nimmt ihren Platz wieder ein)

und das zeigt die gefestigte Verfassungsrechtsprechung eben auch schon zu Fragen der sexuellen Orientierung. Es gibt von daher materiell-rechtlich gesehen keine Lücke.

Wir werden uns den Beratungen natürlich nicht verschließen, aber auch nicht den guten Gründen, die gegen eine Ergänzung des Grundgesetzes sprechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Robert Kleinheyer

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