Aufarbeitung des NS-Kunstraubs
Rede zum TOP 8, 128. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Anträgen der AfD-Fraktion können wir mittlerweile schon ein gewisses Muster feststellen: Erstens. Man nimmt ein Problem, das keins ist. Zweitens. Man versieht es mit Signalworten wie „Bürgereingaben ernst nehmen“. Das klingt bedeutungsschwer. Drittens. Man camoufliert, was man eigentlich erreichen will. Ob man eine Lösung für die Probleme der Menschen findet, ist der AfD gleichgültig. Es geht nur darum, für sich selbst ein öffentliches Forum zu schaffen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Und gerade auf das Zugeben Kommt’s an im Leben“, so heißt es in dem Gedicht „An Peter Scher“ von Joachim Ringelnatz. Dass Ringelnatz nicht nur gedichtet, sondern auch gemalt hat, ist allerdings nur den Wenigsten bekannt.
So geschah es, dass Ringelnatz‘ 1925 entstandenes Ölgemälde „Makabre Szene – Dachgarten der Irrsinnigen“ aus dem Besitz des jüdischen Kunstkritikers und Sammlers Paul Westheim im Jahr 2000 in einer Ausstellung an der Uni Göttingen gezeigt wurde und so zum Ausgangspunkt einer nachfolgenden Schlichtung der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“, wie die Kommission mit vollem Titel heißt, wurde. Westheim, der im Jahr 1963 verstarb, hatte seine expressionistische Sammlung vor seiner Flucht aus Deutschland einer Freundin zur Verwahrung hinterlassen. Seine Sammlung bekam er nie zurück.
Schauen wir uns den Weg des Ringelnatz-Bildes an: Es tauchte irgendwann nach dem Krieg in einer Galerie auf, von wo es 1974 an das Clemens-Sels-Museum in Neuss verkauft wurde. Im Clemens-Sels-Museum verweilte das Gemälde teils in einer Dauerausstellung, teils im Depot, ehe es dann eben 2000 für eine Ausstellung in Göttingen angefordert wurde.
Wieder über Umwege und wieder einige Jahre später wurde schließlich der Rückgabeanspruch der Westheim-Erben erhoben, und der Fall ging nach beiderseitiger Zustimmung, sowohl der Erben als auch des Clemens Sels Museums Neuss, zur Schlichtung an die Beratende Kommission. In der Folge wurden die Erben entschädigt, und das Museum durfte das Bild behalten. – Wir sprechen vom Jahr 2013. 2000 wurde es erstmals wieder wahrgenommen, und 2013 erfolgte die Regelung.
Der Fall steht exemplarisch für eine Vielzahl verschiedenster Fallkonstellationen, in denen Kunstwerke, die entweder von den
Nationalsozialisten beschlagnahmt, verfolgungsbedingt veräußert oder aufgrund von verfolgungsbedingter Emigration zurückgelassen wurden, in der Folge nicht an ihre ursprünglichen Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben wurden. Bis heute begleitet uns die Klärung dieser strittigen Eigentumsfragen. 20 Jahre nach der Washingtoner Konferenz ist es daher geboten, dass wir uns mit dem Stand der Umsetzung der damals festgelegten Prinzipien zur Rückgabe von NS-Raubkunst befassen.
Die seinerzeitige Verabschiedung der Grundsätze in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten verfolgungsbedingt entzogen wurden, war der Versuch, eine Einigung über nicht bindende Grundsätze in Anerkennung der unterschiedlichen Rechtssysteme der Teilnehmerstaaten zu schaffen. Die Grundlage der Umsetzung dieser Grundsätze in Deutschland war dann die Gemeinsame Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz.
Die Gemeinsame Erklärung ist nach wie vor der rechtliche Kontext, innerhalb dessen Restitutionsverfahren geregelt werden, jedenfalls dann, wenn es um Kulturgüter geht, die sich im öffentlichen Bereich befinden. Denn es ist eben eine nicht bindende Selbstverpflichtung, der sich der Staat unterworfen hat. Im Kern ist es rechtlich eine Frage des Verzichts auf die Einrede der Verjährung.
Die AfD-Fraktion hat in dem Zusammenhang die Frage angesprochen, die sich auch in unserem Antrag findet: Wie gehen wir zivilrechtlich, also wenn es um Private geht, mit der Restitution um? Ich halte ich es nicht für richtig, die Frage zu stellen, ob jetzt Moral über Recht gestellt wird. Denn die rechtliche Zuordnung ist im Grunde auch gegenüber Privaten klar: Da, wo man feststellen muss, dass das zivilrechtliche Eigentum abhandengekommen ist, kann kein weiterer Eigentumserwerb stattfinden. Insofern ist die rechtliche Zuordnung eigentlich glasklar.
Das Problem ist aber eben, dass man diesen Anspruch aufgrund der Einrede der Verjährung nicht geltend machen kann, und ist im Zusammenhang mit den zivilrechtlichen Fragen zu lösen. Die Frage ist, ob diese Einrede der Verjährung, die dem Rechtsfrieden dienen soll, angesichts der Singularität des Geschehens, das hinter dem Entzug steht, tatsächlich der richtige Ansatzpunkt zum rechtlichen Umgang damit ist.
Wie zum einen aus der Konferenz zum Jubiläum der Washingtoner Prinzipien und zum anderen aus der öffentlichen Anhörung im Februar dieses Jahres hier im Deutschen Bundestag hervorging, lässt sich insgesamt festhalten, dass die Umsetzung der Washingtoner Prinzipien bei uns gelingt. Unterstützt durch die Arbeit des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste und der angegliederten Beratenden Kommission hat sich eine gute, eine zivile Praxis etabliert, Provenienzen zu erforschen und Restitutionen durchzuführen.
Für eine erstaunliche Anzahl an Kulturgütern konnten in den vergangenen Jahren die Provenienzen geklärt werden. Die Restitutionen belaufen sich für den Zeitraum zwischen 1998 und 2018 auf mehr als 5 700 Kulturgüter und mehr als 11 000 Bücher. Diesen Zahlen steht mit mittlerweile 17 von der Beratenden Kommission bisher gelösten Fällen bzw. ausgesprochenen Empfehlungen eine vermeintlich kleine Zahl gegenüber. Dabei ist es aber ganz wichtig, die prominenten und oft aufgrund ihrer Fallkonstellation eben besonders schwierigen Restitutionsfälle, die bei der Beratenden Kommission zur Klärung vorliegen, aber gerade nicht in Relation zu den zahlreichen Restitutionen zu setzen – sind die Zahlen doch eher ein Indiz dafür, dass offensichtlich zahlreiche Restitutionsverfahren so verlaufen, dass unter Anwendung der Washingtoner Prinzipien eine Lösung erfolgt und die Beratende Kommission gar nicht erst angerufen werden muss.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen begleitet die bisher gute Arbeit in Wissenschaft und Praxis unterstützend. Die Stärkung der Provenienzrecherche, eine neue Geschäftsstelle für die Beratende Kommission, der Ausbau der Digitalisierung der Bestände, die Möglichkeit der einseitigen Anrufung der Kommission, dies alles wollen wir umsetzen und damit die Aufklärung des NS-Kunstraubs weiterhin – auch für die nächsten 20 Jahre – gut voranbringen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)