Wahlrechtsreform
Rede zum TOP ZP1 Aktuelle Stunde, 151. Sitzung des 19. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Normalerweise gilt: Repetitio est mater studiorum. – Aber ob die ständige Wiederholung von Aktuellen Stunden zum Wahlrecht wirklich hilft, eine Lösung zu finden, das möchte ich doch bezweifeln.
(Benjamin Strasser (FDP): Das ist ja das Schlimme: dass keine Lösung kommt, trotz der Aktuellen Stunden!)
Ja, das Thema Wahlrechtsreform ist aktuell; es bedarf einer Lösung. Dessen sind sich hier im Haus allerdings auch alle bewusst.
(Enrico Komning (AfD): Ja, wo bleibt sie denn?)
Ob es dann aber sinnvoll ist, sich in dieser Situation gegenseitig in einer Aktuellen Stunde vorzuführen,
(Beatrix von Storch (AfD): Sie haben doch eine Mehrheit! Tun Sie doch was!)
zumal wenn sich die Fraktionen doch miteinander im Gespräch befinden, ist für mich allerdings fraglich. Der Gewinn für die Sache, nämlich zu einer Lösung zu kommen, erscheint mir durch eine Debatte in der Aktuellen Stunde doch nur minimal. Aber das kennen wir hier im Parlament von der AfD ja zur Genüge: Auf die Lösung kommt es im Zweifel gar nicht an.
(Zuruf von der AfD: Sprechen Sie mal zur Sache!)
Hauptsache, man hat mal wieder gezündelt und versucht, unsere parlamentarische Demokratie insgesamt zu diskreditieren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Enrico Komning (AfD): Mäßigen Sie mal Ihre Rhetorik!)
Und ja, allen ist klar: Die Zeit drängt.
(Beatrix von Storch (AfD): Ach nee!)
Dass allerdings überhaupt gar keine Zeit mehr für eine Lösung sei, wie wir heute in der „Rheinischen Post“ lesen durften, dem möchte ich an dieser Stelle doch energisch widersprechen. Das Zeitfenster mag sich schließen, zu ist es allerdings noch nicht.
(Thomas Seitz (AfD): Dann liefern Sie endlich!)
Aber warum beschließt der Bundestag nicht einfach eine Obergrenze? Das klingt einfach, und alle müssten zufrieden sein. Aber so verlockend Obergrenzenmodelle klingen, so klar ist, dass sie ohne Weiteres nicht funktionieren können, weil ihnen die Gefahr der Verfassungswidrigkeit innewohnt. Es bleibt das Risiko, dass viel zu viele unausgeglichene Mandate im Überhang stehen bleiben.
(Albrecht Glaser (AfD): Irre!)
Also funktionieren solche Modelle nur in Verbindung mit weiteren Maßnahmen. Ein Vorschlag ist hierbei das Kappen von Direktmandaten. Aber auch hier ist fraglich, ob eine solche Lösung überhaupt verfassungskonform ist. Mir macht sie aber auch aus grundlegenden demokratischen Überlegungen Bauchschmerzen. Was denke ich als Wähler, wenn derjenige, dem ich meine Stimme im Wahlkreis gegeben habe und dem ich zum Sieg verholfen habe, am Ende aufgrund von Faktoren außerhalb des Wahlkreises leer ausgeht?
(Beatrix von Storch (AfD): 28 Prozent!)
Dann ist also meine Stimme nichts wert. Wenn man unbedingt Wahlverdrossenheit schaffen will, wird das mit einer solchen Lösung gewiss gelingen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Denn es kann doch nicht sein, dass der Sieger vom Wahlabend am nächsten Morgen zum Verlierer wird.
(Thomas Seitz (AfD): Da klatschen die Verlierer!)
Und es wäre ein klarer Bruch mit einem festen Grundsatz der personalisierten Verhältniswahl: Wer einen Wahlkreis gewonnen hat, hat einen Sitz im Parlament. Eine solche Lösung wäre damit der Einstieg aus dem Ausstieg aus dem personalisierten Verhältniswahlrecht.
Wenn man den Bekundungen nicht nur einzelner, sondern fast aller Fraktionen hier im Hause glauben darf, will eine große Mehrheit aus diesem System aber auch nicht aussteigen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir eine Lösung im System finden müssen. Es geht darum, die Ursachen der Vergrößerung des Bundestages anzugehen und, wie es der Kollege Ruppert zutreffend formuliert hat, nicht nur eine Sicherung der Unfallstelle zu betreiben. Ich will nicht verhehlen, dass der Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen hierzu im Ansatz die richtigen Stellschrauben aufzeigt:
(Beifall bei der FDP – Benjamin Strasser (FDP): Hört! Hört!)
die Zahl der Wahlkreise und das mathematische Verfahren der Zuteilung der Mandate auf die Bundesländer. Das sind doch zwei der drei Stellschrauben, mit denen man auch das personalisierte Verhältniswahlrecht fit für die Zukunft machen kann. Und ich füge hinzu: Auch eine verfassungsrechtlich zulässige Zahl von nicht ausgeglichenen Überhangmandaten gehört zu den Überlegungen dazu.
Eine Verknüpfung dieser drei Elemente dann aber in maßvoller Weise in jeder Hinsicht, also eine maßvolle Reduzierung bei den Wahlkreisen, eine Anpassung des Zuteilungsverfahrens auf die Bundesländer – nicht seine Abschaffung – und eine vertretbare Zahl von ausgleichslosen Überhangmandaten, das könnte der Schlüssel sein, das personalisierte Verhältniswahlrecht zu erhalten. Und die Zeit dafür haben wir noch. Diejenigen, die ernsthaft darüber sprechen, werden diese Zeit auch zu nutzen wissen.-
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)