Bundesverfassungsgericht (Änderung GG und BVerfGG)
Rede zu TOP 4, 191. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als 1949 mit dem Grundgesetz die Verfassungsordnung für die Bundesrepublik Deutschland konstituiert wurde, zogen die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht nur kraftvoll ihre Lehren aus der verbrecherischen Zeit des Nationalsozialismus, schufen eine Ordnung, die das genaue Gegenbild zur Nazidiktatur war, und vermieden es, die Schwächen der Weimarer Reichsverfassung zu wiederholen. Vielmehr knüpften sie an vielen Stellen auch an frühere Staatstraditionen an, die der Überführung in die neue Bundesrepublik wert erschienen. Dazu gehört etwa der föderale Staatsaufbau mit dem Bundesrat als Vertretung der Landesregierungen.
Demgegenüber war die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts ein Novum im Grundgesetz. Die Weimarer Republik kannte lediglich einen Staatsgerichtshof mit beschränkter Kompetenz für Streitigkeiten zwischen dem Reich und den Ländern. Der Verfassung des Kaiserreichs von 1871 war ein Verfassungsgericht völlig fremd.
Entsprechend rudimentär ist auch die Ausgestaltung des Bundesverfassungsgerichts in unserem Grundgesetz 1949 geschehen. Vieles wurde zunächst dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz als einfachgesetzlicher Norm überlassen. Auch musste sich das Bundesverfassungsgericht zugegebenermaßen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erst einmal überhaupt als Verfassungsorgan behaupten. Zu dieser Zeit gab die Regelung wesentlicher Strukturmerkmale allein im Bundesverfassungsgerichtsgesetz dem Bundesverfassungsgericht allerdings auch ausreichend Raum zu seiner Entwicklung.
Mittlerweile ist unser Grundgesetz 75 Jahre alt, und das Bundesverfassungsgericht hat sich zu einem bewährten Verfassungsorgan entwickelt, dessen wesentliche Strukturen mittlerweile gefestigt sind. Aber sie sind nach wie vor weitgehend nur einfachgesetzlich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt. Es ist daher an der Zeit, diese grundlegenden Strukturen im Verfassungstext selbst zu regeln und gleichzeitig das Verfahren zur Wahl der Bundesverfassungsrichter krisenfest zu machen und zu schützen.
(Zuruf des Abg. Fabian Jacobi (AfD))
Wenn wir einen Blick außerhalb unserer Staatsgrenzen werfen, ist es leider durchaus so, dass die Justiz und insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit in den vergangenen Jahren in anderen Ländern zum Spielball freiheitsfeindlicher Kräfte wurde. Wir in Deutschland konnten uns lange mit der Feststellung beruhigen, dass wir aufgrund unserer historischen Erfahrung mit zwei Diktaturen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen gegen autoritäre Versuchungen gefeit sind. Doch der demokratische Verfassungsstaat, der allein die Basis für Freiheit, Wohlstand und dauerhaften Frieden ist, wird mittlerweile auch hierzulande von einigen infrage gestellt.
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ernsthaft besorgt darüber sind, dass Deutschland kurzfristig in schwere politische Turbulenzen geraten könnte. Die demokratische Mitte ist stark. Allein, dass wir uns fraktionsübergreifend auf die Gesetzentwürfe zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts geeinigt haben, zeigt, dass bei allen Differenzen im Übrigen ein breiter Konsens über die Grundlagen unserer Staatlichkeit in der Mitte des Parlaments besteht.
Das Institutionengefüge unserer Verfassung ist so stabil gebaut, dass es für Extremisten jeglicher Couleur überaus schwer ist, die Staatsgewalt zu usurpieren. Aber dieser Befund darf uns auch nicht davon abhalten, mögliche Schutzlücken in unserer Verfassung zu identifizieren und Verbesserungen dort anzustreben, wo sie sinnvoll erscheinen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht hat jemand von Ihnen vor Kurzem im Haus der Bundespressekonferenz das Stück „Ein Volksbürger“ gesehen, in dem Fabian Hinrichs einen populistischen Ministerpräsidenten verkörpert, der den Vollzug von Bundesrecht in seinem Freistaat aussetzt und auf einen Konflikt mit der Bundesregierung zusteuert, die sich im Laufe der Ereignisse genötigt sieht, Bundeszwang nach Artikel 37 des Grundgesetzes auszuüben.
Es kommt darüber zu einem Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht, das in dem Stück seine Funktion – zum Glück – ordnungsgemäß ausfüllt. Der Konflikt zwischen dem Land und der Bundesregierung eskaliert dennoch. Für alle, die das Stück nicht gesehen haben, will ich nicht verraten, wie es endet, sondern mich mit dem Hinweis begnügen, dass es noch in der arte-Mediathek verfügbar ist.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Andrea Lindholz (CDU/CSU): Sehr schön! Danke!)
Das Stück zeigt, wie wichtig es ist, zur Lösung politischer Konflikte über geordnete und als legitim akzeptierte Verfahren zu verfügen. Dabei ist die Funktionsfähigkeit von Institutionen eine Grundvoraussetzung dafür, dass diese ihre Rolle bei der Lösung politischer Konflikte dauerhaft ausüben können. Und gleichzeitig bedarf es klarer Verfassungsregelungen, die die Kompetenzen und Strukturen der Institutionen konturieren.
Mit den heute zur Debatte stehenden Gesetzentwürfen zur Änderung des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes wollen wir zentrale Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz verankern und zudem einen Mechanismus schaffen, mit dem das Recht zur Wahl der Bundesverfassungsrichter vom Bundestag auf den Bundesrat und umgekehrt übergeht, wenn in dem jeweils zuständigen Wahlorgan keine Zweidrittelmehrheit erreicht werden kann.
Mit anderen Worten: Zentrale Strukturmerkmale der Verfassungsgerichtsbarkeit sollen der Änderung durch die einfache Mehrheit entzogen werden. Die Wahl der Bundesverfassungsrichter soll zudem krisenfest geschützt werden. Das stärkt nicht nur die Resilienz des Bundesverfassungsgerichts, sondern unseres demokratischen Verfassungsstaats insgesamt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)