Debatte zum Thema Sterbehilfe

Debatte zum Thema Sterbehilfe

Rede zum TOP 4, 36. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor etwas über siebeneinhalb Jahren, im November 2014, haben wir hier im Plenum schon einmal über Suizidassistenz und Sterbebegleitung debattiert. Der seinerzeitige Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach von dem „vielleicht anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt“ der damaligen Wahlperiode. Argumente und Emotionen prallten aufeinander, die wie nur wenige andere als existenziell bezeichnet werden können. Die intensive Diskussion und der anschließend gefundene Kompromiss führten zu einer der vielgerühmten Sternstunden des Parlaments.

Nun befinden wir uns nach siebeneinhalb Jahren wieder hier im Plenarsaal des Bundestages, um über Suizidassistenz zu debattieren. Aber wie heißt es bereits bei Heraklit: „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen“. Auch wenn wir heute wieder über die Suizidassistenz sprechen, führen wir nicht die Diskussion des Jahres 2014 fort, sondern wir sind mit der Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus 2020 in einer neuen Situation. Dort hat das Gericht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck persönlicher Autonomie anerkannt, und dieses Recht, so das Bundesverfassungsgericht, „umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.

Aber schon dieser verfassungsrechtlich eindeutige Ausgangspunkt wirft in der Praxis komplexe Fragen auf: Wann ist der Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, Ausdruck persönlicher Autonomie? Wie soll man herausfinden, ob die Entscheidung eines Sterbewilligen vielleicht gar nicht selbstgesetzten Gründen entspringt, sondern er sich sozialem Druck ausgesetzt sieht oder an einer Krankheit leidet, die es ihm unmöglich macht, seinen Wunsch, zu sterben, selbstbestimmt zu reflektieren?

Diese Situationen voneinander abzugrenzen, ist keineswegs trivial. Denn das Bundesverfassungsgericht hat auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass der Entschluss, bergleiteten Suizid zu begehen, tatsächlich auf freiem Willen beruht:

Angesichts der Unumkehrbarkeit des Vollzugs einer Suizidentscheidung …

– so das Bundesverfassungsgericht –

gebietet die Bedeutung des Lebens als ein Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung …, Selbsttötungen entgegenzuwirken, die nicht von freier Selbstbestimmung und Eigenverantwortung getragen sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier liegt die zentrale Aufgabe jeder zukünftigen Regelung, die den verfassungsgerichtlichen Vorgaben gerecht werden will.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Autonomie des Einzelnen und sein daraus resultierendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben müssen ebenso geschützt werden wie das Leben. Das ist kein Paradox, sondern zeigt, dass Leben und Sterben nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können.

Über seinen Tod frei entscheiden kann nur, wer lebt. Wer einmal die Grenze zum Tod überschritten hat, kann seine Entscheidung nicht revidieren. Deshalb ist es so wichtig, dass sich der Staat schützend vor das Leben des Einzelnen stellt, weil nur so auch die Autonomie des Einzelnen geschützt werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP, der AfD und der LINKEN)

Ein effektiver Schutz der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung verlangt, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen. Dabei geht es nicht um die Suizidassistenz als solche, sondern es richtet sich gegen die Förderung von Geschäftsmodellen, die dazu führen, dass die Selbsttötung als Normalfall der Lebensbeendigung gehandelt wird. Es ist bekannt, dass in Ländern, in denen die geschäftsmäßige Suizidassistenz weitgehend schrankenlos angeboten wird, die Selbsttötungsraten ausgesprochen hoch sind.

Wichtig ist es vielmehr, im Rahmen eines klaren Schutzkonzeptes Ausnahmen für Menschen zu schaffen, die frei und ernsthaft den Entschluss gefasst haben, aus dem Leben scheiden zu wollen. Dazu bedarf es erstens der Feststellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung durch Fachärzte für Psychiatrie und zweitens einer umfassenden, ergebnisoffenen Beratung. In Sondersituationen, etwa bei einer fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung und einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, kann die Feststellung schneller getroffen werden.

Nur so, durch eine strafrechtliche Regelung und ein Schutzkonzept als Ausnahme, schützen wir wirksam die Selbstbestimmung und das Leben.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)