Kulturpolitik, Kulturgut aus kolonialem Kontext
Rede zum TOP 6, 79. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages
Ansgar Heveling (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nicht dankbar; ich finde es vielmehr schade, dass wichtige Fragen, etwa im Zusammenhang mit der Restitution von Kulturgütern, jetzt derart ideologisch aufgeladen werden, dass ein Kulturkampf herbeigeredet wird, wo doch der Diskurs eigentlich das ist, was wir bräuchten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ein Diskurs gelingt aber dann nicht, wenn man in ideologischen Höhlen gefangen ist und aus diesen nicht herauskommt.
Es ist doch eher angebracht, sich gemäß Tacitus sine ira et studio – ohne Zorn und Eifer – über die wichtigen Fragen auszutauschen, etwa über die Restitution von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten. Und da darf ich beginnen mit einem Zitat von Frau Professor Sophie Schönberger aus ihrem Essay „Was soll zurück? Die Restitution von Kulturgütern im Zeitalter der Nostalgie“. Sie schreibt – ich zitiere -:
Die Restitution von Kulturgütern ist daher nicht in erster Linie ein nostalgisches, sondern ein politisches Projekt – und sollte auch als solches gesehen und behandelt werden. Die mit ihr
– der Restitution –
verfolgte Geschichtspolitik hat dabei dann nicht die Aufgabe, historische Wahrheiten verbindlich festzulegen, sondern dient dazu, einen wertegebundenen Umgang mit der Vergangenheit zu finden. Dabei sollten alle beteiligten Akteure den Mut aufbringen, auch im Zeitalter der Nostalgie wieder mehr Gegenwart zu wagen.
Darum geht es doch. Das ist der Weg in den nötigen Diskurs.
Ich darf auch die Worte von Professor Raphael Gross anschließen, der im Zusammenhang mit der Rückgabe der Säule von Cape Cross darauf hingewiesen hat, dass zur historischen Urteilskraft die Fähigkeit gehört, sich der eigenen Wertung, also der heutigen, der jetzigen Wertung, bewusst zu werden. Denn die wirklich spannende Frage im Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ist ja im Grunde gar nicht ausschließlich die Klärung der Frage der Provenienzen, sondern vor allem, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie wir uns als Gesellschaft gegenüber musealen Objekten verhalten, die aus heutiger Sicht zwar innerhalb eines Unrechtskontextes erworben worden sind, für deren Rückgabe es aber eher rechtlich unklare Ansprüche gibt. Das ist die gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zum Glück sind wir in dieser Frage in den letzten Jahren doch ein gutes Stück vorangekommen, und es besteht mittlerweile ein breiter gesellschaftlicher Konsens über einen veränderten, einen bewussten Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Leider findet sich dazu nichts in den vorliegenden Anträgen, die wir heute beraten. Alles, was sich hier liest, spricht für das absolute Unvermögen und den Unwillen, eine zeitgemäße Unrechtsbewertung vorzunehmen.
Aber machen wir weiter mit der zeitgemäßen Auseinandersetzung. Bereits im Oktober 2019 haben die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters sowie die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering und die Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder sowie Vertreterinnen und Vertreter der kommunalen Spitzenverbände die Einrichtung einer Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland beschlossen. Diese hat dann im August 2020 ihre Arbeit aufgenommen. Damit ist eine zentrale Forderung der im März 2019 aufgesetzten ersten Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten umgesetzt worden. Die Kontaktstelle ist seitdem die zentrale Anlaufstelle für Personen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten bzw. -gesellschaften und für alle Fragen rund um Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zuständig.
Weiter hat das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seit 2019 einen zusätzlichen Etat für Provenienzforschung zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten erhalten. Ein Blick auf seine aktuellen Projekte lohnt sich übrigens, genauso wie ein Blick auf die Liste der bisher digitalisierten Bestände der Benin-Bronzen oder ein Blick ins Portal „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ der Deutschen Digitalen Bibliothek.
Auch der Leitfaden des Deutschen Museumsbundes für die Museen zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ist mittlerweile ein drittes Mal überarbeitet worden. Unter der Federführung der Leiterin des Übersee-Museums Bremen waren diesmal auch internationale Fachkolleginnen und -kollegen sowie Experten aus den Herkunftsgesellschaften involviert. In einem Interview spricht die Leiterin des Museums, Frau Ahrndt, von einem sich wandelnden Selbstverständnis der ethnologischen Museen, die forschend die Herkunft ihrer Exponate hinterfragen. Die vermehrten Anfragen aus den Herkunftsgesellschaften würden sich häufiger um Kooperationen als um Rückgabeersuchen drehen, die es natürlich auch gebe. Dekolonisierung bedeute für sie, gemeinsam mit den Herkunftsgesellschaften Zukunft zu gestalten.
Was das zeigt: Es laufen doch schon Forschungen, es laufen Rückgaben, und vor allem finden auch die Kooperationen mit internationalen Partnern und den Herkunftsgesellschaften längst statt. Auch wenn wir noch am Anfang stehen, so sind wir doch zumindest schon einen gewaltigen Schritt nach vorne gegangen, wenn auch noch nicht am Ziel. Dazu braucht es noch vieles. Was es aber nicht braucht, ist eine neue Kommission mit fragwürdigem Namen, einen Rückgabestopp der Benin-Bronzen oder gar identitäre Kulturpolitik.
Auch zum Schluss darf ich Frau Professor Schönberger bemühen, die im selben Essay festhält:
… Über Unrecht muss man sich verständigen, über Unrecht muss man sich manchmal auch streiten. Als gesellschaftlicher Prozess ist diese Auseinandersetzung häufig schmerzhaft. Nur sie kann aber die Basis dafür sein, das Zurückgeben tatsächlich als Akt der Unrechtsaufarbeitung auszugestalten.
In diesem Sinne sollten wir konstruktiv weitermachen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Budde (SPD))