Suizidhilfe

Rede zum TOP 15, 125. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages

Ansgar Heveling (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 2015, am 2. Juli, dem letzten Sitzungsdonnerstag vor der Sommerpause, hatte der Deutsche Bundestag mit großer Mehrheit entschieden, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid als eigenständigen Straftatbestand zu normieren. Heute, am letzten Sitzungsdonnerstag vor der Sommerpause 2023, stehen wir als Deutscher Bundestag wieder vor der Entscheidung, ob und wie wir dem assistierten Suizid Grenzen setzen.

Ich bin mir bewusst, das ist für jeden und jede von uns keine leichte Entscheidung, insbesondere weil wir unser Votum vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 treffen müssen, mit dem sich die Karlsruher Richter grundlegend und sehr weitgehend zum Umgang mit dem assistierten Suizid geäußert haben.

Mit seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht eine Art Grundrecht auf Suizid und der Hilfe dazu konstituiert. Diese sehr weitgehende Entscheidung bereitet vielen – ich nehme mich da nicht aus – Kopfzerbrechen. Die Frage ist nicht fernliegend: Macht es angesichts dieses weitgehenden Urteils überhaupt Sinn, eine gesetzliche Regelung zur Frage des assistierten Suizids vorzunehmen? Ich habe für mich diese Frage zu Beginn dieser Wahlperiode ganz eindeutig mit Ja beantwortet; denn beim assistierten Suizid geht es nicht nur um eine Frage an den einzelnen, an sein höchstpersönliches Recht. Assistierter Suizid macht auch etwas mit anderen: mit Angehörigen, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Einrichtungen, von Pflegeeinrichtungen, Ärztinnen und Ärzten und – ja – auch mit der Gesellschaft insgesamt. Deshalb ist für mich klar geworden: Wir brauchen wieder eine gesetzliche Regelung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

So weitgehend das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist, so klar spricht es gleichzeitig davon, dass es für das dort postulierte Grundrecht auch Schranken geben kann; denn das Recht auf selbstbestimmtes Sterben wirkt nicht absolut. Es tritt vielmehr in Kollision zur Pflicht des Staates, die Autonomie Suizidwilliger und darüber hinaus auch das höchstrangige Rechtsgut Leben zu schützen.

Der hohe verfassungsrechtliche Rang der Rechtsgüter Autonomie und Leben, die § 217 StGB schützen will, vermag den Einsatz des Strafrechts grundsätzlich zu legitimieren.

So das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Karlsruhe zeigt damit auf, dass der Gesetzgeber Grenzen definieren darf, und das sollte der Gesetzgeber dann auch tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Es ist die Motivation meiner Gruppe Castellucci/Heveling, für eine neue gesetzliche und strafrechtliche Regelung einzutreten. Dass auch in Deutschland eine strafrechtliche Lösung möglich und naheliegend ist, zeigt die gerade zitierte Passage des Urteils. Mit dem neuen § 217 Strafgesetzbuch bewirken wir den Schutz der Selbstbestimmung; denn Schutz der Selbstbestimmung heißt Schutz von gefährdeten Gruppen, Schutz von denen, deren Selbstbestimmung gefährdet ist: psychisch kranke Menschen, die unter äußerem Druck stehen, behinderte Menschen, Menschen in existenziellen Ausnahmesituationen. Ich finde, diesen Menschen ist die Gesellschaft ihren Schutz schuldig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Diesen Schutz kann man nur mithilfe des Strafrechts effektiv gewährleisten; denn das Strafrecht setzt Grenzen. Wo sie überschritten werden, ist mit Konsequenzen zu rechnen, und das ist auch richtig so. Das ist auch anders als bei dem Gesetzentwurf Helling-Plahr/Künast; er sieht keine Konsequenzen bei Missbrauch vor.

Im Übrigen sehen selbst die europäischen Länder das so, in denen die Grenzen für die Suizidbeihilfe weit gefasst sind. Selbst dort werden noch die Grenzen durch Strafrecht gesetzt. Das beste Beispiel ist die Schweiz, wo sich in Artikel 115 des Strafgesetzbuches eine entsprechende Regelung findet.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Schweiz ist ein schlechtes Beispiel!)

Ebenso ist es in den Niederlanden.

Zu unserem § 217 des Strafgesetzbuches gehört deshalb ein ausgewogenes Schutzkonzept, bei dem der autonom gebildete Wille respektiert wird, aber die Feststellung der Selbstbestimmtheit zentraler Schutzaspekt ist, um vor sozialer und wirtschaftlicher Pression zu bewahren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Deshalb geht es nach wie vor auch nur um die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid. Die ethische Grundlage unserer Rechtsordnung würde erodieren, wenn wir es zulassen, dass das wertvollste Rechtsgut, das es gibt – das Leben -, der Logik des Marktes ausgeliefert wird. Es ist kein Ausdruck von Freiheitlichkeit einer Gesellschaft, Sterbehilfeorganisationen mit einer Laisser-faire-Politik zu begegnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Das Leben ist kein handelbares Gut und darf es auch nicht werden. Daher geht meine herzliche Bitte an Sie alle: Wenn Sie die Selbstbestimmung und das Rechtsgut Leben zugleich schützen wollen, wenn Sie wollen, dass bei einem solch wertvollen Rechtsgut der Respekt vor der Freiheit und dem Leben zählt, dann stimmen Sie für unseren Gesetzentwurf Castellucci/Heveling und andere. Sagen Sie Ja und nicht Nein. Unser Gesetzentwurf steht dabei fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes; denn dieses Grundgesetz ist eine Verfassung des Lebens und nicht des Sterbens.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)